Ich beschäftige mich hier ja häufig mit multimedialem Storytelling. Ein Trend dabei ist das „Scrollytelling“, also lange Reportagen zum Durchscrollen. Ich habe dazu mal ein Webinar gegeben, in dem es um Beispiele, Tools und konzeptionelle Hinweise geht. Hier sind die Slides dazu:
re:port war einer von 13 Tracks der re:publica 2012 – für mich als Journalist der spannendste. Praktisch fand ich das Tool Torial, inspirierend die Trends beim visuellen Storytelling und eine gute Wiederholung Udo Vetters Spielregeln fürs Netz. Ein Best Of.
Der SZ-Zugmonitor hat den Datenjournalismus in Deutschland um ein Referenzprojekt bereichert und ist in der Szene oft und meist positiv besprochen worden. Weitaus weniger im Rampenlicht steht die Agentur, die hinter dem Zugmonitor steckt: OpenDataCity. Ein Porträt.
Vor kurzem habe ich über das Kuratieren gebloggt und dabei auch Storify erwähnt, den Dienst der sich meines Erachtens am besten eignet, um Web-Inhalte zu Kuratieren. Bislang war Storify nur mit einem Invite zugänglich, jetzt ist die Public beta-Phase angelaufen. jeder, der will, kann sich einen Storify-Account besorgen. Ein guter Zeitpunkt, um einen genaueren Blick auf die Funktionalität zu werfen und ein paar Tipps fürs Storifying zu geben.
Mit „New Story“ geht’s los, es erscheint ein graues Kopffeld, in dem man einen Titel und einen Vorspann schreiben kann. Das Bildfenster ist erst mal leer. Wenn man später In die eigentliche Story Inhalte mit Bildern eingefügt hat, kann man das Bilder-Feld durchklicken und ein Wunschbild auswählen, das dann quasi als Teaser-Bild fungiert.
Einbetten verschafft Transparenz
Storify funktioniert ganz einfach nach dem Drag and Drop-Prinzip. Im linken Fenster wählt man die Web-Inhalte aus und zieht sie dann ins rechte Textfeld, wo man sie loslässt. Das Tool generiert dabei einen Embed-Code und zeigt das ausgewählte Stück wie im Original an. Das ist einerseits sehr authentisch, andererseits verschafft es Transparenz, weil der Urheber immer ersichtlich bleibt und auch verlinkt ist.
Es gibt eigentlich nichts, was man nicht auswählen kann. Eigene Suchfunktionen gibt es für die großen Tanker Twitter, Facebook, youTube und Flickr. Man kann aber auch RSS-Feeds oder jede x-beliebige URL eingeben.
Storify-Screenshot. Links das Auswahlfenster für Web-Inhalte, rechts die eigene Story
So weit, so gut. Nun stehen die Inhalte in der Reihenfolge untereinander. Per Drag and Drop kann man das jederzeit verändern. Richtig interessant und zur eigentlich journalistischen Leistung wird die Story erst durch eine Kommentierung bzw Einordnung der Tweets, Bilder, Videos oder Seiten. Dazu gibt es ein unscheinbares Textfeld, das Dur h ein „T“ symbolisiert ist. Klickt man drauf, öffnet sich ein Drop-down-Fenster, in das man schreiben kann. Was, hängt von der Konzeption der Story ab. Verwendet man Storify zur Echtzeit-Berichterstattung, kann man den Verlauf einer Geschichte dokumentieren und die Quelle erläutern. Das ist vor allem bei auf den ersten Blick unbekannten Urhebern geboten, speziell bei privaten Bloggern und Twitterern. Vorher muss der gute Journalist natürlich überprüft haben, ob es sich um eine vertrauenswürdige Quelle handelt.
Bei der Echtzeitberichterstattung stellt sich natürlich die Frage, wo bzw. wann man aufhört. Eine kommentierte Story wird schnell lang und unübersichtlich. Und oft ist nicht absehbar, wie lange ein Thema weitergeht. Und mit zu vielen Stories will man den Leser ja auch nicht überschwemmen.
Ich habe Storify bei meinen Tests vor allem dafür verwendet, um die wesentlichen Etappen einer Geschichte zu dokumentieren und im Zweifelsfall eine neue Story gestartet. Hier mal ein Beispiel (danach geht die Anleitung weiter…)
Ich würde sagen: Weniger ist mehr, die journalistische Selektionskompetenz ist gefragt.
Es muss aber ja nicht immer der ganz große Wurf sein, dass man Inhalte aus dem gesamten social web (Twitter, Facebook, youTube und Flickr) aggregiert und einordnet. Man kann Storify auch dazu nutzen, einfach nur eine Blogschau oder eine kommentierte Linkliste (zu Homepages) zu verfassen. Beides sieht durch die Embed-Funktionalität ungleich besser aus als ein Artikel mit vielen Links in einem klassischen redaktionellen CMS.
Urheber mit einem Klick benachrichtigen
Wenn die Story dann fertig ist, kann man sie mit einem Klick veröffentlichen. Wer will, kann dabei alle Leute (auf Twitter), deren Content er eingebunden hat, per Reply-Funktion in Kenntnis setzen und so für mehr Aufmerksamkeit sorgen und den Mulitplikatoreneffekt im Netz nutzen. Logischerweise kann man die Story auch sofort auf Facebook und Twitter veröffentlichen. Was aber tun, wenn der Ressortleiter fragt: „schön und gut, wenn das auf Storify ist, aber ich will die Geschichte auf unserer Seite haben?“ Auch das ist kein Problem, es gibt einen Embed-Code, mit dem man die Story auf der eigenen Seite einbetten kann.
Storify ist sicher noch nicht 100%ig ausgereift, vielleicht kommt auch die eine oder andere neue Funktionalität hinzu, etwa, dass mehrere Autoren gleichzeitig eine Story erstellen können. Für den journalistischen Gebrauch ist das aber gar nicht nötig.
Wie sind Eure (journalistischen) Erfahrungen mit Storify? Für welche Art des Stotytellings nutzt ihr das?
Die Informationsflut im Internet fordert die Journalisten heraus. Sie müssen mehr denn je fremde Inhalte sichten, aufbereiten und in einen Zusammenhang stellen. Wenn sich Journalisten in die Rolle des Mehrwert schaffenden Kurators begeben, entsteht eine neue Form des Storytellings. Linklisten waren gestern, kuratieren ist die Zukunft weiterlesen
Am 6. Dezember wurde der Deutsche Reporterpreis vergeben. In der Kategorie „Beste Web-Reportage“ hat Felix Seuffert mit seiner Audio-Slideshow „After The War“ gewonnen. Dabei ist es die Reportage, die das Schicksal eines vor dem Bürgerkrieg in Kongo nach Südafrika geflohenen Fußballprofis erzählt, gar keine reine Audioslideshow, sondern enthält mindestens genauso viele Video-Elemente.
Preiswürdig ist „After The War“ aus mehreren Gründen:
Die intelligente Verknüpfung von Video und Fotos: Carol Machumu, der Protagonist, kommt meist in einem Nahaufnahmen-Video zu Wort. Manche seiner Aussagen werden aber mit Fotos dokumentiert, während der Ton weiterläuft. Die Bilder, zum Beispiel von seiner Arbeit als Parkplatzwächter, sind oft schnell hintereinandergeschnitten, so dass Seuffert und sein Team keine Ken-Burns- oder andere Effekte brauchen, um auch den optischen Fluss der Geschichte zu gewährleisten. Immer wieder wird intelligent zwischen Videosituation und Fotos aus Carols Leben hin- und hergeschnitten.
Emotionale Nähe, die aber nie aufdringlich ist: Carol Machumus Leben ist eine traurige, ergreifende Geschichte: Sein Vater wurde im Bürgerkrieg getötet, seine Mutter ist verschwunden, er floh nach Südafrika, wo er viel Rassismus begegnet und beim unterklassigen Fußballclub Camps Bay von vorne anfangen muss. Diese Geschichte wird durch die traurige französische (und deutsch untertitelte) Stimme Carols sehr authentisch und nachfühlbar. Weil der Kongolese ziemlich leise spricht, muss man sich gut auf seine Stimme konzentrieren – für mich wurde die Slideshow so noch eindringlicher. Auch die immer wieder sparsam eingesetzte melancholische Klavierpassage erfüllt hier ihren dramaturgischen Effekt.
Ausdrucksstarke Fotos: Felix Seuffert studiert Fotojournalismus, insofern ist das natürlich ein Heimspiel für ihn. Dennoch ist die Slideshow voll von hervorragend komponierten, künstlerischen Fotos, z.B. wenn er am Boden eines Hausflurs sitzt.
Felix Seuffert: "After The War". Carol Machumu sitzt am Boden eines Flurs.
Ob „After The War“ die beste Web-Reportage ist, kann ich mangels Kenntnis der anderen eingereichten Arbeiten nicht beurteilen.
In jedem Fall handelt es sich um eine sehr sehr gut gemachte Audioslideshow. Sich die viereinhalb Minuten anzusehen beutetet viereinhalb Minuten multimedialen Genuss.